Keine Lust auf Führung?
Welche Führung wünschen sich junge, engagierte Frauen heute?
Mit welchen Führungskonzepten sehen sie sich konfrontiert?
Alexander Höhns Einschätzung auf diese Fragen:
Kürzlich führte ich als Vorbereitung einer Teamentwicklung Gespräche mit einem Team junger, bestens ausgebildeter Frauen (und einiger Männer) der Mitarbeiterkommunikation eines großen Automobilkonzerns. Lebendig, selbstorganisiert, selbstverantwortlich, lustvoll – so mein Resümee. Dazu noch gut strukturiert und pointiert, im Fokus auf das Wesentliche und mit der Fähigkeit zur Vernetzung zwischen Menschen, zwischen Bereichen.
Auffallend sind hier die Frauen, die gleichzeitig noch Familien managen und in so genannter Teilzeit arbeiten, repräsentieren diese Mitarbeiterinnen doch alle Tugenden, die heute so existenziell sind: Selbstorganisation, radikaler Pragmatismus, Empathie und pointierte Leistungsbereitschaft. Nebenbei grundsätzlich attraktiv-bodenständig, auf Augenhöhe agierend und voll im Bewusstsein des digital-inhaltlichen Wandels, den sie angstfrei gestalten wollen.
Das richtige Führungskonzept finden
Ich stellte mir die ketzerische Frage: Wie viel Führung brauchen Menschen eines solchen Teams? Und wenn ja, dann welche Art von Führung? Und welche auf gar keinen Fall, da sich diese auf die Leistungsfähigkeit und Kreativität mindernd auswirkt?
Auf keinen Fall die Art Führung, von der dieses Team umgeben ist. Eine 29-jährige Medienwissenschaftlerin schilderte, wie sie einem Meeting eines "höheren Führungskreises" beiwohnte. Wie sie begann, sich inmitten der älteren Herren in dunklen Anzügen in der ersten Stuhlreihe unwohl zu fühlen, als wäre sie deplatziert und dem Impuls selbstbewusst widerstehen musste, in die zweite Stuhlreihe zu wechseln. Sie wolle auch nicht anmaßend, gar respektlos wirken. Allerdings langweile sie diese rituelle Atmosphäre und die leicht verächtlich empfundenen Blicke.
Auf keinen Fall das tägliche Prozedere einer Morgenveranstaltung des Bereichsleiters, der den direkten Chef vor dem ganzen Team herabwürdigt, die operative Arbeit des Teams polemisch diskreditiert und den Konflikt mit seinem eher sanft-fürsorglichen "Untergebenen" inmitten des Teams zelebriert.
Die Tage alter Führungsstile sind gezählt
Die Frauen merken eines: Die männliche Führung ist unter Druck, zwischen Autorität und fürsorglicher Belagerung hin- und hergerissen. Zudem ist sie wenig bis gar nicht selbstreflektiert, meidet Unsicherheit oder versucht, sie gar mit Aggressionen oder panischer Einmischung zu lösen. Sie wirkt anachronistisch in komplexen Zeiten. Aber wer hat überhaupt Lust auf Führung? Lust benötigt Angstfreiheit. Panik, Angst, Aggression und Lust passen nicht zusammen. Nicht nur in Partnerschaft und Intimität. Auch in Kooperation und Business nicht.
Selbstverständlich haben junge Menschen, die in unseren freien, rechtsstaatlichen Demokratien sozialisiert sind, Lust auf Führung. Lust, sich zu beteiligen. Lust, Verantwortung zu übernehmen. Lust, den Wandel zu begleiten, zu kreieren, zu steuern. Und das in einer Atmosphäre hoher Selbstorganisation, Netzwerkbildung und hierarchiefreiem Miteinander. Jenseits von langweiligen Statussymbolen, konditionierten Karriereleitern und Alpha-Primaten-Kult. Time over. Letzte absterbende Blüten á la Trump, Putin, Orban und Erdogan sind die Allegorien für all das, was vernetzte, kluge, ebenbürtige Menschen nicht mehr wollen. Denn sie wissen, dass wir nur vernetzt und gemeinsam die komplexen Themen der Gegenwart bewältigen können, um eine ökologisch und soziale Welt in der Zukunft zu gestalten.
Zeit für Neues
So sieht also die Lust an Führung aus: Sparring, Positionierung der eigenen Ideen, kreativer Wettstreit in Verantwortung, empathischer Umgang untereinander, Feedback als Selbstverständlichkeit, das Gespräch über Inhalte und innere Haltung,
Die 42-jährige Psychologin, Germanistin, Mutter von drei Kindern und Partnerin (ihre Worte) ist da schon angekommen. Ihr männlich geprägtes Umfeld, das historischen Paradigmen unbewusst folgt, steht da ziemlich unter Druck, um vom Strom der Veränderungsdynamik nicht verschluckt zu werden – nach letztem, konvulsivischen Aufbäumen.
Das Abmontieren der Klimadaten am Weißen Haus in Washington wird die Erhöhung des Meeresspiegels nicht aufhalten.
Über ein solches Verhalten lachen die Frauen meines Workshops nur, im Unternehmen ziehen sie die Konsequenz. Sie suchen sich ein neues Umfeld, eines, bei dem Führung sie weniger dabei stört als vielmehr unterstützt, sich empathisch, verantwortlich und engagiert zu verhalten.
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